Die Schweiz leidet nicht an zu vielen Ausländern, nicht einmal in der Krise droht dem Land Massenarbeitslosigkeit. Dieses Land leidet bloss daran, dass es nach dem Kalten Krieg den Anschluss verpasst hat.

Am 11. September 2001 begann die neue Zeit. Doch die Schweiz blieb ratlos stehen und beobachtet seither mit wachsender Sorge, wie die osteuropäischen Staaten zu ernsthaften Konkurrenten werden, China zur neuen Macht aufsteigt, sich weltweit die Gewichte in Richtung Pazifik verschieben. Der globale Trend läuft gegen den helvetischen Sonderfall.

Das Gewicht Europas schwindet und die Schweiz, dieser europäische Zwerg, schrumpft mit, schraubt sich immer schneller in Richtung Irrelevanz.

Der Bundesrat scheint aus der Zeit gefallen, ein Gremium, unablässig bemüht, die Fiktion nationaler Souveränität aufrechtzuerhalten.

2009 war ein erbarmungsloses Jahr, das die Machtlosigkeit des Gremiums permanent offenlegte, durch Libyenkrise und Steuerstreit, durch die Unausweichlichkeit der Kooperation gegenüber ultimativen Forderungen der USA, der EU, der G20. Die Leitlinien wurden nicht mehr im Bundeshaus festgelegt. Wenn unser Land tatsächlich mitgestalten möchte, müssten wir der EU beitreten. Von der eidgenössischen Politik ist nichts mehr zu erwarten. Höchstens mit der Zeit der Bau noch etwas breiterer Autobahnen.

Nüchtern bertachtet, nistet die allgemeine Nervosität in der Angst um unseren Wohlstand. Ausgelöst hat diese Angst der Umstand, dass auch andere Völker sich langsam etwas Luxus leisten können. Der Abstand schrumpft. Aber das ist kein Grund zur Panik. Finden wir uns damit ab: Ein Volk, das keine gemeinsame Sprache spricht, nicht einmal seine Nationalhymne zu singen weiss, wird keinen Begriff der nationalen Identität finden, schon gar nicht in einer so unübersichtlichen Zeit wie der jetzigen. Aber das macht nichts, weil jene Schweiz, die alle lieben, eine Erfindung des Auslands war. Notfalls erfindet das Ausland seine Schweiz noch mal neu.

 

Gedankensplitter von Sascha Buchbinder in der „Die Zeit“ vom 7. Januar 2010